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INFOTHEK

EDITORIAL: Verbundenheit, Heilung und Osteopathie


Verbundenheit, Heilung und Osteopathie

Liebe Freundinnen und Freunde der Osteopathie,
 

"Lösen wir unsere Verbundenheit, stirbt unsere Menschlichkeit. Vergessen wir die Vergangenheit und die Zeremonien der Ältesten, sind wir heimatlos. Verlassen wir unser Herz, verlieren wir uns. Ehren wir das andere Geschlecht nicht, verbrennen Frauen und ertrinken Männer. Verletzen wir Mutter Erde sterben wir." (Quelle )


Verbundenheit

Indigene Weisheiten wie diese werden von den meisten Menschen intuitiv als 'wahr' empfunden. Kein Wunder, gehen sie doch auf jahrhunderttausendealte Erfahrungen zurück, die in der natürlichen Welt erfolgreich erprobt wurden und uns Menschen das Überleben gesichert haben. Glaubt man den indigenen Ältesten, leiten sich diese natürlichen Weisheiten nicht aus einem rationalen Weltverständnis ab, sondern emergieren als natürliches Weltempfinden während des Lebens in Gemeinschaften und mit der Natur. In ihm sind alle Wesen und Dinge untrennbar und aufeinander einwirkend auf einem Rad der Zeit komplex ineinander verwoben. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden nicht als getrennt empfunden. Alles existiert gleichzeitig und gleichwertig. Daraus leitet sich ihre Moralquelle ab: Das Empfinden von Verbundenheit. Motivationen, Ziele und wesentliche moralische Güter wie Achtung vor Fremden, Gastfreundschaft, Achtsamer Umgang mit Lebewesen und Dingen, sowie Denken und Handeln im Dienst der Gemeinschaft richten sich daran aus. Dadurch entstehen Heimat-, Selbst- und Identitätsempfinden. Dementsprechend geht es in der indigenen Therapie primär nicht um 'Ich-ThrapeutIn', 'Du-PatientIn' und Behandlungserfolg, sondern darum, die Behandlung im Empfinden der Verbundenheit als Dienst an der Gemeinschaft und dem Ganzen auszuführen. Ganzheitliche Behandlung at it's best eben... [2]

 

Da sich dieses Weltempfinden aber – wie indigene Älteste immer wieder betonen – nicht wirklich in Worte fassen lässt, spielen bei der Überlieferung Klang, Rhythmus und Betonung eine entscheidende Rolle (wie in der Musik der Ton auch erst durch diese drei Elemente belebt wird). Und es erklärt, dass die Überlieferungen erst durch Riten, Tänze und Gesänge, in denen das Empfinden der Verbundenheit handelnd ge- und erlebt wird, ihre Kraft erhalten. Älteste (häufig Frauen aber auch Kinder) führen diese Zeremonien an, nicht weil sie viele Jahre Erfahrung, viel Wissen, Titel und Zertifikate besitzen, bekannte Autoren oder ständig auf sozialen Medien präsent sind, sondern weil sie die richtigen Klänge, Rhythmen und Betonungen kennen; und weil sie Verbundenheitsempfinden in jener Stärke alltäglich leben, um die Zeremonien im gemeinschaftlichen Sinn und nicht als Individuen anleiten zu können. Überlieferung und Zeremonien bilden damit die Hauptbedingungen für Wohlergehen, Glück, Identität und Heimat.

 

Folgerichtig sind alle Formen von Trennung potenziell zerstörerisch: Überhöhung und Abwertungen von Menschen (auch sich selbst), Tieren oder natürlichen Dingen; abstrakte (lat.: abstrahere = u.a. abtrennen) Ideale wie das 'freie und selbstbestimmte Individuum', 'reine' (= erfahrungsunabhängige) und 'kritische' (gr. krínein = scheiden, unterscheiden) Vernunft; ein jenseitiger und allmächtiger Gott; ein 'besonderes' Volk oder eine 'überlegene' Nation; der analytische (gr. análysis = u.a. Auflösung, Zergliederung) Verstand und das instrumentelle Denken als vom Herz entkoppeltes Entscheidungswerkzeug (wenn 'ich' das mache, bekomme 'ich' das dafür); ein Wirklichkeitsverständnis im Sinne getrennter Objekte, Zahlen und abstrakter Modelle; die exzessive Zurschaustellung der Subjektivität und Meinung; das dualistische Denken (Ich-Du, Wir-Ihr, dein-mein, unser-euer, Gut-Böse, Leib-Seele, Mensch-Welt, Psyche-Physis, Objekt-Subjekt, Organisches-Anorganisches, Jenseits-Diesseits, Innerlichkeit-Äußerlichkeit, Vergangenheit-Zukunft etc. ); die sich daraus ergebende Kausalität ( = zeitliche Trennung von Ursache und Wirkung); die mechanische/elektronische Zeitausrichtung (Trennung der Zeitdeutung von Naturprozessen); Geschlechter-Dominanz; Helden- und Genieethos; Technisierung; Machtstreben; Gier; Narzissmus etc. etc.

 

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Heilung

Daraus entstehen im indigenen Verständnis zerstörerische Dominanz-Kulturen, die nicht nur die Vernichtung anderer Kulturen (insbesondere Verbundenheits-Kulturen) verursachen, sondern auch auf sie selbst zerstörend zurückwirkt. 

 

Da alle Menschen die natürlichen Weisheiten als Menschheitserbe tief in sich tragen, spüren auch wir als Mitglieder der Dominanz-Kulturen die wachsende Bedrohung unseres Zerstörungspotenzials. Und das macht Angst, denn wir spüren gleichermaßen, dass unsere 'Lösungsversuche' doch letztlich wieder durch unsere jahrtausende alte Trennungs-Prägung bestimmt sind (wissenschaftlich-technische Erlösung, 'starke' Männer, Apokalypse, Rückzug, Kampf etc.). Damit aber wird das Zerstörungspotential – häufig in vermeintlich bester Absicht – letztlich nur noch weiter befeuert. Das erklärt, warum die Gefühle von Angst, Ohnmacht und Endzeit wachsen... Was also ist zu tun? Den Stecker ziehen? All unser Wissen vergessen? Den Kopf in den Sand stecken? Flucht? Oder gar: zurück zu 'den Wilden'?

 

Nun ja, in gewisser Weise tatsächlich Letzteres. Natürlich nicht, indem wir in Seminaren und Kursen, oder Büchern so tun als wären wir sie – insbesondere, wenn diese Angebote von Nicht-Indigenen kommen. (Tatsächlich empfinden Indigene dies sogar als zutiefst respektlos, entwürdigend und als Fortführung der Kolonialisierung.) Wir können nicht einfach so 'indigen' werden. Zudem gab und gibt es in ihrer Geschichte selbst mehrere Zerstörungsphasen durch interne und streng patriachal bestimmte Dominanz-Kulturen. Was ihre Geschichte aber von unserer unterscheidet: Sie kennen auch Phasen vollständiger Heilung und Immunisierungstechniken gegen den zerstörerischen Trennungs-Virus. Hier können wir viel lernen, denn diese Heilungen erfolgten nicht durch Kampf, neue Einsichten, technische Wunder, Heldentaten, Revolutionen, Apokalypsen, etc., sondern vielmehr durch passiven Widerstand, Friedensstiftung, Wegzug v.a. der Frauen und Jungen oder schlicht durch Verschiebung der Kontrolle von Machtstrukturen von  patriachalen Hierachien hin zu Frauen-Gemeinschaften 

 

Und für mich besonders interessant: diese Heilungen, die zuweilen viele Opfer erfordern und auch mehrere Generationen dauern konnten und können, waren stets begleitet und durchdrungen von einer Rückbesinnung auf die gemeinsame Geschichte in Form intensiver Erforschung, ehrender Aufbewahrung, respektvoller und gemeinschaftlicher (= stammesübergreifende) Besprechung des Vergangenen, sowie ihre Wiederverbindung mit der Gegenwart in gemeinschaftlichen Zeremonien. Dies begründete und befeuerte ein Gefühl von Verbundenheit und Kraft, das solange wuchs, bis ein Kipppunkt erreicht wurde und die 'Physiologie die Pathologie' bis zur vollständigen Heilung verdrängen konnte. Nicht 'zurück zum Alten' lautete also das Motto, sondern 'nach vorne mit dem Alten als Energiequelle'. Das ist keine Utopie! Es ist bereits mehrfach passiert! Es ist also möglich!

 

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Osteopathie

 

Das 'Volk der Osteopathie' spiegelt (natürlich mit individuellen Unterschieden und Ausnahmen) unsere vom Trennungs-Virus befallene 'moderne Zivilisation' wieder. Es existieren drei große 'Stämme' (USA, GB, EU) und im europäischen Stamm viele Unter-Stämme. Die meisten sind sich einander fremd. Ihre zahlreichen 'Ältesten' (fast ausschließlich Männer!) verfolgen  – häufig im Glauben in bester Absicht zu handeln – partikulare Interessen, wobei sie den Namen des Volkes gebrauchen, um letztlich doch nur für sich oder ihren Stamm einen möglichst guten Platz zu ergattern (materieller Wohlstand, Status, juristische Anerkennung). Ein partikularer Gewinn, der aufgrund seiner Stammesfixierung die Identität des Volkes immer weiter untergräbt. Gleiches gilt für immer neue Initiativen, die eine 'wahre' Osteopathie propagieren und suggerieren und sich dabei auf Ursprünge beziehen, die noch nicht einmal richtig erforscht wurden. Auch dies befördert das Identitätschaos.

 

Auch die Indigenen Völker leiden häufig an postkolonialer Identitätslosigkeit (die im Gegensatz zur Osteopathie nicht selbstverschuldet ist). Sie aber beginnen seit einigen Jahrzehnten mit zunehmender Kraft ihre nächste Heilung anzugehen, indem sie sich immer mehr Indigene bemühen die Gegenwart wieder mit der Energiequelle des Vergangenen zu verbinden. Dabei haben Sie den Vorteil noch über 'Älteste' mit echten Verbindungen zu den ursprünglichen Quellen zu verfügen. Für die Dominanz-Kulturen ist das eine nahezu unlösbare Aufgabe, da sie keine Erinnerung an vollständige Heilung haben. Für das Volk der Osteopathie ist es einfacher, weil ihre Geschichte sehr jung ist und die ursprünglichen Quellen von jedem gelesen, studiert und neu empfunden werden können. Und wer weiß, vielleicht entstehen daraus die dringend benötigten neuen (v.a. weiblichen und jungen) Ältesten, die aus einer gemeinschaftlich motiviert und gründlichen Erforschung, ehrenden Bewahrung und der stammesübergreifenden Besprechung der Ursprünge und Entwicklungen ihres Volkes über Generationen hinweg langsam reifen. Neue Älteste, durch die der Begriff 'Osteopathie' endlich Heilung erfahren, für alle Mitglieder eine fruchtbare Heimat sein und eine kraftvolle Identität und Würde besitzen könnte. Ich glaube fest daran: Jeder von uns könnte so eine neue Älteste oder ein neuer Ältester werden... ;-)

 

[1]: Indigen definieren wir als 'eingeboren', oder 'einheimisch'. Für viele indigene Älteste bezeichnet es aber ein holistisches Empfinden oder eine Identität.
[2]: Dies ist insofern interessant, da Therapie im altgriechischen ursprünglich auch Dienen bedeutete.

 

In diesem Sinn wieder zum Tagesgeschäft von JOLANDOS.

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Ihr

Christian Hartmann

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