ARTIKEL: Osteopathie - Teil 3: Berufspolitik, Ausbildung, Anerkennung



Erstveröffentlichung: DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2005; 1: 33.


Einleitung

1845 in Kanada geboren emigrierte David.Palmer 1865 in die USA. Während des Bürgerkriegs bestritt er seinen Lebensunterhalt in den Bundesstaaten Illinois und Iowa mit Bienenzucht, Himbeerverkauf und dem Unterrichten an diversen Schulen. Mitte der 80er beschäftigte er sich, inspiriert vom bekannten Magnetheiler Paul Caster, intensiv mit den Heilmethoden seiner Zeit, wie Magnetheilung, Spiritualismus und Phrenologie. Wir erinnern uns: Auch A.T. Still hatte diesen Weg bereits in den frühen 60ern eingeschlagen.

Palmer erkannte rasch das Potential der eklektischen Heilkunst und gründete 1887 in Davenport das Palmer Cure & Infirmary. Manuelle Manipulationstechniken wurden zu dieser Zeit nicht unterrichtet.


Palmer trifft Still

Auf der Suche nach weiteren Heilmethoden gelangte Palmer schließlich über Strothers, einem Studenten der American School of Osteopathy (ASO), 1893 nach Kirksville. In dieser Zeit wurde er laut Stills Tochter Blanche von ihrem Vater über einen Zeitraum von mehreren Wochen behandelt und war zudem einmal zum Abendessen eingeladen. Er erhielt zudem Unterweisungen von einem weiteren Studenten, A.P. Davis. Die Zeitzeugin Edyth Ashmore schreibt:

"(Davis) unterrichtete Palmer wie man Hühneraugen und Hallux valgus mittels Manipulation subluxierter Phalangen heilen konnte, welcher jener seinerseits bei A.T.Still erlernt hatte." (1)

Eugene F. Palette, Osteopath und Chiropraktiker schreibt um 1906:

„Es bleibt ein Faktum, dass er (Palmer) versuchte der Welt etwas in den 90ern vorzustellen, das bereits über 20 Jahre zuvor von A.T.Still entdeckt worden war [...]“ (5)

Palmer schien von dem Besuch sichtlich beeindruckt, denn in der Folgezeit ließ er sich nach eigenen Angaben vom osteopathisch versierten Arzt Dr. Atkinson nachhaltig in dessen Techniken einweisen. Lesen wir Palmer:

„Ich bin nicht der erste, der subluxierte Wirbel korrigiert hat, aber ich beanspruche der Erste zu sein, dislozierte Wirbel mittels des Processus spinosus und der Processi transversi als Hebel korrigiert zu haben [...]“ (11)


Einfacher und einträglicher ...

Palmer modifizierte die osteopathischen Techniken also, indem er die langen Hebel der Manipulation durch kurze Hebel ersetzte. Zudem reduzierte er die umfassende funktionell-physiologischen Philosophie Stills (mind-matter-motion) auf eine einfache strukturell-physikalische Methode (matter). Der in der Osteopathie ganzheitlich verwendete Zentralbegriff 'Läsion' erscheint bei Palmer fortan als physikalische 'Subluxation'. So gerüstet benennt er seine Ausbildungsstätte 1898 in Palmer School and Infirmary of Chiropractic um und stellt der Öffentlichkeit damit erstmals den Begriff der Chiropraktik vor. Durch geschicktes Marketing sind seine 14-tägigen Crashkurse für $500 je Kurs rasch gefüllt.


Ungleiche Methoden - Gleiches Schicksal

Wie in der Osteopathie erfolgte auch in der Chiropraktik nach dem Fletcher-Report 1910 eine massive Angleichung der medizinischen Curricula, was in beiden Lagern zu einer internen Spaltung führte. Der traditionellen straight chiropractic (Osteopathie: lesionists) stand die opportunistische mixture chiropractic (Osteopathie: broadists) gegenüber, und wie in der Osteopathie setzten sich auch in der Chiropraktik langfristig die Opportunisten durch. In dieser Angleichung begründet sich die schleichende begriffliche und inhaltliche 'Melangierung' von Osteopathie, Chiropraktik und manueller Medizin.




Literatur

(1) Ashmore E.: The menace of Chiropractic inside History of this fake.; November 1907 12 (5): 1–2.
(2) Cramer, et al.: Geschichte der manuellen Medizin; Springer, 1990.
(3) Fact Sheet and Bibliography: Chiropractic/D.D. Palmer involvement with the ASO.
(4) Gevitz N.: The D.O.’s: Osteopathic Medicine in America; John Hopkins University Press, Baltimore, 1982, p.58.
(5) Harold of Osteopathy, Pallete, E.F.: “Some Differences between Osteopathy and Chiropractic.” Reprint, c. 1921.
(6) Hildreth A.G.: The Lengthening Shadow of Andrew Taylor Still; Macon, MO., 1938, S. 44–45.
(7) Honda S.: Bonesetting, Chiropractic and Cultism. Critique Books, Panama City, Florida, S. 18–21, 31–33.
(8) Hickle W.A.: Concerning Chiropractic; April 1906 13: 125–128.
(9) McGrew R.E.: Encyclopedia of Medical History. McGraw-Hill, New York, 1985; S. 158–159.
(10) Osteopathic Physician: Prove ‘Chiropractics’ an imitation in Wisconsin Court. October 1905 8(5): 9.
(11) Palmer D.D.: The Science of Chiropractic. 1910.
(12) Trowbridge C.; Andrew Taylor Still 1828–1917. Pähl: JOLANDOS, 2003.
(13) http://www.chiropraktik-bund.de/Chiropraktik-Hintergrund.html. Abgerufen am 14.07.25.
(14) http://www.worldchiropracticalliance.org/consumer/history.html. Abgerufen am 16.07.25.


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